Wie ist die Echtzeiterfassung der individuellen Leistungs- und Qualitätsdaten in einem Logistikzentrum zu bewerten? Das Verwaltungsgericht Hannover hat am 09.02.2023 unter Aktenzeichen 10 A 6199/20 aus Sicht des Datenschutzes darüber befunden. Auch wenn sich das Urteil klar auf den Einzelfall eines Amazon-Logistikzentrums bezieht, liefert es doch konkrete Richtlinien für die korrekte rechtskonforme Ausgestaltung einer solchen Massnahme. Darüber hinaus soll die Wechselwirkung mit der herrschenden Betriebs- oder Firmenkultur betrachtet werden.
Amazon betreibt in Winsen/Niedersachsen ein ansehnliches Logistikzentrum mit ca. 64’000 Quadratmetern und rund 2’000 Mitarbeitenden. Die durchgehende Erfassung und Verarbeitung der aktuellen und minutengenauen Quantitäts- und Qualitätsdaten der Beschäftigten wurde zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens. Die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover hat dies aus datenschutzrechtlicher Sicht für zulässig erklärt und damit die unternehmerischen Interessen über das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten gestellt. Diese dramatisch klingende Zusammenfassung legt nahe, dass hier eine detaillierte Abwägung stattgefunden hat. Im Folgenden werden einige Faktoren herausgearbeitet, welche wichtig für die Entscheidung waren und auch Richtlinien für ähnliche Situationen geben.
Begründung
Die Erfassung und Verarbeitung der Daten dienen nicht zum Selbstzweck. Im konkreten Fall wurde die Steuerung der Logistikprozesse, die Qualifizierung der Mitarbeitenden, die Schaffung objektiver und fairer Bewertungsgrundlagen für Feedback und Vorbereitung von Personalentscheidungen angegeben.
Während für Qualifizierung und Bewertung die Notwendigkeit der personenbezogenen Daten offensichtlich ist, muss für den Steuerungsaspekt nachgewiesen werden, dass es nicht ohne den Personenbezug geht. Das eindrückliche Beispiel hierzu ist, dass zum Abfedern individueller, täglicher Leistungsschwankungen diese erkannt werden müssen und auch als typische Reaktion ggf. besonders qualifizierte Mitarbeitende umdisponiert werden müssen. Für den reibungslosen Ablauf in einem Logistikzentrum dieser Grösse ist ein abgestimmter Leistungsdurchsatz in allen Prozessschritten notwendig. Ein Ungleichgewicht führt schnell zu Betriebsstörungen, insbesondere da zusätzlich unerwartete Volumenschwankungen abgefedert werden müssen.
Transparenz
Einer der Schlüsselfaktoren für die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden ist die Transparenz über die Art der Verarbeitung, die Verwendung der Daten und die Beweggründe. Der frühzeitige und umfassende Einbezug der Mitarbeitenden ist nicht nur eine Verpflichtung, sondern ein Erfolgsfaktor. Die Nachvollziehbarkeit ist wichtig und dazu gehört z.B. dass auch die Mitarbeitenden den Vergleich ihrer Leistungszahlen mit den Durchschnitts- oder erwartenden Werten sehen können. Auch die Berücksichtigung von Sondereffekten, wie das Handling von sperrigen Gütern, trägt zur Akzeptanz der Lösung bei. In dem zugrundliegenden Fall ging es sogar soweit, dass der Betriebsrat ausdrücklich die Verwendung eines solchen Systems gefordert hat.
Datenspeicherung
Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist auch die Speicherdauer der Daten je nach Verwendungszweck relevant. Für die zur Prozessoptimierung notwendigen Daten werden 3 Monate als angemessen beurteilt. Für die Feedbackgrundlagen werden 12 Monate als kritisch, aber akzeptabel angesehen. In der Praxis bedeutet dies eine klare Trennung von den operativen Daten und eine Unterscheidung pro Verarbeitungszweck. «One size fits all» ist hier wohl nicht die Lösung. Es muss auch geprüft werden, ob anonymisierte Daten verwendet werden können.
In einer Nebenbemerkung ist erwähnt, dass das Erstellen von genauen personalisierten Bewegungsprofilen, was hier nicht der Fall ist, als übermässige Überwachung angesehen würde.
Firmenkultur
Wie bereits in einem früheren Beitrag erwähnt, ist neben der selbstverständlichen Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen wichtig, mit welchen Hintergedanken und in welcher Betriebs- und Firmenkultur solche Auswertungen erfolgen. Sie können bestehende Strömungen verstärkt werden. Eine Kultur des Misstrauens, des Zwangs und des übermässigen Leistungsdrucks wird zum Missbrauch führen. Wo hingegen ein konstruktiver, fairer Umgang mit Leistungen vorherrscht, wo Erschwernisse identifiziert und beseitigt werden, wo das gemeinsame Ziel, die berechtigten Kundenerwartungen ohne Stress zu erfüllen im Vordergrund steht und wo die Mitarbeitenden aus tiefster Überzeugung gefördert werden, werden auch die Echtzeiterfassung von personenbezogenen Leistungs- und Qualitätsdaten zur Prozesssteuerung und -verbesserung und zur objektiven und fairen Leistungsbeurteilung einen wertvollen Beitrag leisten.